Zu Beginn der Debatte in der Partei Die Linke über ein Grundsatzprogramm auf Basis des nun
vorgestellten Entwurfs veröffentlichte die
junge Welt gestern eine Einschätzung vom Vorstandsmitglied Thies Gleiss, die ich hier dokumentieren möchte. Den kompletten Enwurf kann man
online lesen oder als
pdf herunterladen. Ich habe ihn bisher nur überflogen und bin gespannt auf die Details und eine offene und solidarische Debatte, aber auch auf die daraus resultierenden politischen Aktivitäten von Mitgliedern, Sympatisant_innen und anderen nicht nur in den Parlamenten, sondern hoffentlich weit darüber hinaus.
Die Linke bleibt links
Gegen Privatisierung, Sozialabbau und Kriegseinsätze: Die Partei verpaßt sich ein Programm. Erste Anmerkungen zum nun vorgelegten Entwurf. Von Thies Gleiss
An diesem Samstag verendet ein vom politischen Gegner fleißig gepflegtes Vorurteil: Die angeblich programmlose Partei Die Linke präsentiert den Entwurf für ein Parteiprogramm. Auf 42 Seiten wird versucht, die Grundlagen für eine moderne sozialistische Partei zu skizzieren. Und gleich vorweg: Der Versuch kann sich sehen lassen. Der Text der vom Parteivorstand eingesetzten Programmkommission ist zunächst einmal lesbar, manchmal sogar von sprachlicher Eleganz. Wer die furchtbaren Sprachungetüme kennt, die sonst von Parteigremien und -tagen der Linken veröffentlicht werden, weiß, daß dies keine Selbstverständlichkeit ist. So dürfen sich der politische Gegner und der Parteifreund gleichermaßen an klaren Begriffen freuen. Die Gesellschaft, in der wir leben heißt Kapitalismus. Sie ist von der Allmacht des Privateigentums an den großen Produktionsmitteln, der Konkurrenz des Kapitals untereinander, der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft und regelmäßigen Krisen geprägt. Anderswo gern benutzte Adjektive wie »ungebändigt«, »schrankenlos« oder auch »finanzmarktgetrieben« und »hemmungslos« tauchen kaum auf – hoffentlich ein Eingeständnis der Autoren, daß solche Beiworte nicht genauer beschreiben, sondern vernebeln. Die Alternative zu einer solchen Gesellschaft heißt Sozialismus, der durch das ihn ständig begleitende »demokratische« aber auch nicht an Schärfe gewinnt. Es ist eine Gesellschaft der Solidarität und Gleichheit, der kollektiven und demokratischen Entscheidungsprozesse und der Mensch, Umwelt und Gerechtigkeit gleichermaßen berücksichtigenden rationalen wirtschaftlichen Planung.
Da sowohl zu erwarten als auch zu befürchten ist, daß der Programmentwurf bis zu seiner endgültigen Verabschiedung durch Mitgliedschaft und Parteitag der Linken noch etliche Massaker durch Änderungsanträge von rechts und links überstehen muß, oder auch nicht übersteht, sei hier ein unkonventioneller Vorschlag gemacht: Nehmt den Text so wie er ist in der, wie es in diskurserfahrenen Kreisen so schön heißt, »generellen Linie« an und schlagt ihn den politischen Gegnern um die Ohren. Das wird für alle lohnender.
Bekenntnis zu Niederlagen
Einen feinen Einstieg findet der Programmentwurf mit seinem ausdrücklichen und sogar ein wenig Verantwortung übernehmenden Bezug zum Scheitern der politischen Ansätze der Sozialdemokratie und des »Sozialismus« Marke DDR. Die politische Konzeption der Sozialdemokratie ist von buchstäblich tödlichen Fehleinschätzungen und Verbrechen gegenüber der Arbeiterklasse und ihren Parteien gekennzeichnet. Die Zustimmung zu nationalistischen und kolonialistischen Kriegen seit 1914 bis heute, die Niederschlagung authentischer revolutionärer Aufstände und gesellschaftlicher Opposition, aber auch die tiefe Illusion in die »soziale Marktwirtschaft« nach dem Weltkrieg, die nichts als ein »Kompromiß zwischen Lohnarbeit und Kapital« ist, »der die Herrschaft des Kapitals nicht in Frage stellte« – all das bestimmt die Sozialdemokratie als Synonym für Niederlage. Der »Sozialismusversuch im Osten Deutschlands« – das ist eines der sprachlichen Juwelen im Text – ist nicht minder gescheitert, aber trotzdem Bezugspunkt der neuen Linken. Die Partei Die Linke ist, im Gegensatz zur Legende der bürgerlichen Medien, nicht ein Projekt von »Oskar« und »Gregor«, sondern Ergebnis der realen Klassenkämpfe – von Kampf gegen den Faschismus, der Friedensbewegung, des Aufbruchs von 1968, der Frauenbewegung bis zur Umweltbewegung und den Protesten gegen HartzIV von heute. Wenn der Programmentwurf noch aufgemästet werden soll, dann bitte in dieser geschichtlichen Einordnung. Das ist der beste Schutz vor Anpassung und Rechtsentwicklung. Bisher begann jeder Rechtsabsturz von linken Parteien durch einen Diskurs der Geschichtslosigkeit. Man fabuliert dann zwar von »alles neu denken« und produziert doch nur den alten reaktionären Schrott.
Eigentum verpflichtet
Der zentrale Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft ist die Eigentums- und damit Machtfrage. Sie teilt die Gesellschaft in Klassen, in Ausgebeutete und Ausbeuter, in Gewinner und Verlierer. Sie definiert die mit allen Mitteln der Repression und der ideologischen Berieselung durch die eigenen Medien verteidigte »Ordnung der Herrschenden«. Es ist schön, daß der Programmentwurf ungefähr einmal auf jeder Seite diesen Zusammenhang erkennt. Die bürgerlichen Medien werden in den nächsten Tagen sicherlich genüßlich aufzählen, wen und was die Linke alles vergesellschaften will, damit überhaupt erst wesentliche politische Änderungen möglich werden: Die »strukturbestimmenden Großbetriebe«, »den Finanzsektor«, »die Unternehmen der Daseinsvorsorge«, »die Energiekonzerne«, »Medienkonzerne«, »das private Gesundheitswesen«. Es ist zu hoffen, daß der Programmentwurf dazu beiträgt, eine in der letzten Zeit sehr an einander vorbei geführte Diskussion über »Verstaatlichung« oder »Vergesellschaftung« vom Kopf auf die Füße zu stellen: Es geht nicht um eine Vision, was am Ende für eine kollektive und selbstverwaltete Eigentumsform herauskommt, sondern um die simple Tatsache, daß eine Enteignung der großen Konzerne am Anfang jeder wirklich grundlegenden Politikänderung stehen muß.
Hier liegt aber auch der wichtigste Schwachpunkt des Programmentwurfs. Enteignung und Entmachtung der Herrschenden ist wahrscheinlich nur selten ein Akt der Regierung. Sie wird Ergebnis eines Kampfes der Nicht-Herrschenden um Wiederaneignung sein, in dessen Verlauf verschiedene Formen der Gegenmacht entstehen – vom besetzten Werkstor bis zu Räten der Selbstverwaltung im Betrieb und der Kommune. In diesen Prozeß der wirklichen Kämpfe müssen sich die Vorschläge nach »mehr Wirtschaftsdemokratie« einordnen. Im Mittelpunkt der kommenden Kämpfe wird neben der Wiederaneignung von Einkommen vor allem der Kampf um Zeitsouveränität stehen. Die radikale Arbeitszeitverkürzung wird der zentrale Konflikt zur Enteignung der Herrschenden sein.
Hier taucht die alte Schwäche der programmatischen Leistungen der Linken auf. Sie ist nicht in der Lage, oder schreckt vielleicht auch nur davor zurück, die vielen einzelnen Erkenntnisse, wie diese Gesellschaft funktioniert, in eine letztlich die Machtfrage stellende Strategie einzubauen. Aber der Programmentwurf ist darin ein kleiner Fortschritt.
Nie wieder Krieg
Die Linke ist heute die einzige politische Partei, die der dem Kapitalismus unausrottbar innewohnenden Tendenz zum Krieg mit der einzig menschlichen Parole begegnet: Nie wieder Krieg! Der Programmentwurf ist in dieser Frage so eindeutig, daß das allein ausreichen wird, eine Koalition mit einer aus dem Ensemble der übrigen Kriegsparteien zu verunmöglichen. Aber es gibt unermüdliche Bemühungen außerhalb und innerhalb der Linken, diese Position aufzuweichen, zuletzt in der Debatte um angeblich »sinnvolle« internationale Polizeieinsätze. Wer also unbedingt was ändern will, soll an dieser Stelle den Programmentwurf noch schärfer würzen. Das Gesamtmenü wird dadurch schmackhafter.
Die Linke ist auch die meist fortgeschrittene ökologische Partei. Der Kampf um die Umwelt und gegen die Klimakiller ist allerdings nicht nur ein »Querschnittsthema«. Die zeitgemäße Kapitalismuskritik muß die immanenten Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise erklären und bekämpfen, die einen »ökologischen Kapitalismus« unmöglich machen. Unsere Freunde von der Ökologischen Plattform in der Linken können sich über den Programmentwurf also einerseits freuen, andererseits aber auch noch viel konkretisieren, damit die Linke sich das beste und aktuelle Emanzipationsetikett berechtigt umhängen darf: Ökosozialistisch.
Da war noch was ...
Geben wir zum Schluß dem Programmentwurf ungekürzt und ungewürzt das Wort: Die Linke »wird sich an keiner Regierung beteiligen, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt. (...) die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zuläßt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt«.
Die Linke bleibt mit diesem Programm links. Das ist soweit klar. Aber ein Programm ist nicht alles. Eine linke Partei muß mit all ihren Mitgliedern mit den sozialen Kämpfen verschmelzen, sie muß selbst eine soziale Bewegung werden – das ist die wirkliche Schule und die wirkliche Programmdebatte.