Ich empfehle folgenden Beitrag der Frankfurter Rundschau zur Diskussion um die politische Zukunft der SPD, die laut einer FORSA-Umfrage aktuell in keinem Bundesland mehr stärkste Kraft ist. In Hessen scheint sich die SPD aber gerade aus der selbstverschuldeten Sackgasse herausmanövrieren zu wollen: siehe den FR-Artikel Hessen nur mit links.
Genossen in der Sackgasse - In der Mitte eine Lücke
VON CHRISTIAN SCHLÜTER
Der SPD ist kaum noch zu helfen - sie war einfach viel zu erfolgreich. Heute sind wir, mehr oder weniger, alle Sozialdemokraten. Keine der anderen Parteien würde gegen die Forderung nach sozialer Fürsorge, wenigstens aber: Absicherung Einspruch erheben. Niemand würde es wagen, die sozialen Errungenschaften grundsätzlich in Abrede zu stellen. Das Problem: Die Sozialdemokratisierung scheint vollendet, aber mittlerweile ohne SPD stattzufinden.
Mit dem Verschwinden des real existierenden Sozialismus kann auch wieder links von der SPD gewählt werden; allenfalls die CDU ergeht sich hier und da in Abwehrreflexen, als tobe immer noch der Kalte Krieg. Die SPD dagegen wehrt sich zwar auch, doch niemand versteht, wogegen: Mit der neuen Links-Partei nur auf Landes-, niemals aber auf Bundesebene koalieren - es bleibt wohl selbst für Sozialdemokraten ein Geheimnis, wie das eigentlich gehen soll.
Was die Agenda 2010 angeht, haben wir es mit einem vielfachen Scheitern zu tun. Zunächst sollte mit diesem ehrgeizigen Programm nicht etwa nur der Arbeitsmarkt belebt werden. Vorgesehen waren auch Reformen in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Doch weil Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger über keine Lobby verfügen, ging man hier besonders drakonisch vor. Etwas emphatischer: Die SPD hat ihre proletarische Herkunft verraten, ohne sich in einem neuen Milieu verankern zu können.
Wer in der Politik nicht nach Glaubwürdigkeit sucht, wird hier immerhin ein (wahl)strategisches Problem zugestehen. Die beschäftigungspolitischen Erfolge der Agenda sollen darauf zurückzuführen sein, dass sie den Menschen Schlechtes unterstellt - die mitunter Faulen und Trägen sollen nicht nur gefördert, sondern müssen vor allem auch gefordert werden. Mit der hier zu Grunde liegenden, eher pessimistischen Anthropologie lässt sich aber kein überzeugendes, die Menschen mitreißendes Zukunftsprogramm entwerfen.
Unterdessen wächst in der Mitte unsere Gesellschaft das Millionenheer der Ausgeschlossenen, wie der Soziologe Heinz Bude all jene nennt, "die übrig bleiben, wenn die Arbeit verschwindet". Gemeint sind die neuen Unterschichten, von denen eine SPD-Studie kürzlich zu berichten wusste und damit für Aufsehen sorgte, für die sich in der Agenda-Partei aber niemand so richtig zuständig zu fühlen scheint. Nicht nur kommt der wirtschaftliche Aufschwung bei vielen Menschen nicht an, wie es beschönigend heißt - massenhafte Armut ist das große Zukunftsproblem.
Doch was tut die Agenda-zahme SPD? Sie schlägt die Einführung eines Mindestlohns vor. Dabei müssten auch die Genossen wissen: Ein solcher Eingriff in die Tarifautonomie wird allenfalls bis zum nächsten Richterentscheid oder bis zur nächsten Bundesregierung Bestand haben und von den meisten als entsprechend knapp befristeter Aufschub in einer Entwicklung verstanden, die unbeirrt weiter nach unten weist. All jene, die unlängst die beschäftigungspolitischen Erfolge der Agenda 2010 feierten, sollten die zum Teil verheerenden sozialen Auswirkungen dieser Reform nicht verschweigen, und ebenso wenig, dass sich ihr Erfolg wohl eher einem sozialen Abwärtstrend verdankt, innerhalb dessen sie nur die globalisierungsbedingten Zumutungen neu verteilte - von oben nach unten.
Fünf Punkte, die den Machterhalt der SPD sichern könnten
Die Agenda mit ihrem Credo vom Fördern und Fordern wollte die Verteilungs- wieder mit der Leistungsgerechtigkeit in Einklang bringen. Daran ist sie gescheitert. Warum aber denkt in der SPD heute niemand mehr darüber nach? Am Stillstand in der Berliner Regierungskoalition oder am Wiesbadener Debakel kann es doch nicht liegen. Die SPD hat als linke Milieupartei keine Chance, einfach weil es keine klaren politischen Milieus mehr gibt. Ihr Festhalten am politischen Phantasma der Mitte sichert den Machterhalt. Aber was dann? Im Prinzip ist es ganz einfach.
1. Die SPD wird ihr Verhältnis zur Links-Partei entkrampfen müssen. Eine Zumutung, gewiss, aber nicht nur ist der Kalte Krieg vorbei, sondern es sind auch nur auf diesem Wege links von der Mitte in nennenswertem Umfang Wähler zurück zu gewinnen. Angela Merkel und die Unions-Parteien machen zurzeit alles richtig. Und auf die Grünen sollten sich die Genossen nicht allein verlassen, denn je älter die einstmaligen Öko-Revoluzzer werden, desto mehr besinnen sie sich auf ihre bürgerliche Herkunft - Annäherung an die CDU inklusive.
2. Die Herkunft der SPD aber ist proletarisch, davon sollte um ihrer Glaubwürdigkeit willen nicht nur das Wort vom "demokratischen Sozialismus" künden, das sich ja immerhin noch im Hamburger Parteiprogramm findet. Die Ausgeschlossenen sind das vordringliche Thema. Dabei wird man sich eine Menge mehr einfallen lassen müssen, als die bloß administrative, den "Pöbel" auf Distanz haltende Organisation der Zugänge (Bildung) oder Differenzierung der Maßnahmen (Arbeit). Wer schon öffentlich die "Heuschrecken" beklagt, darf es nicht bei der Verwaltung des Elends belassen. Widerstand ist das Gebot der Stunde.
3. Eine weitverbreitete Ausrede dafür, es doch nur bei der Elendsverwaltung belassen zu können, lautet, dass sich eine Volkswirtschaft nur dann in den uns wie Schicksalsmächte überkommenden Stürmen der Globalisierung behaupten kann, wenn sie sich von unnötigem Ballast befreit. So lautet auch die geradezu metaphysische Grundannahme der Agenda 2010. Das mag für den Augenblick richtig sein, falsch aber ist es in der größeren Perspektive. Gegen das global agierende Kapital hilft nur internationale Solidarität. Wozu ist die SPD Mitglied in der Sozialistischen Internationale? Was machen die da eigentlich? Eine kluge und linke Ordnungspolitik im globalen Maßstab muss her, und zwar hurtig!
4. Die SPD braucht eine neue Ideologie. Selbstverständlich ist es cool, im Sprachspiel der globalen Casinospieler sein Agenda-Setting zu verfassen. Doch jetzt steht die große Umwertung an: Arbeit und Leistung harren einer neuen Bestimmung, die sich nicht länger an den Standards der Besserverdienenden und Renditejäger mit ihrem angeblichen Wertschöpfungsmonopol orientiert. Auch bedarf es einer nachdrücklichen Aufklärung darüber, dass eine ganze Volkswirtschaft im Banne des Geiz-ist-geil, also der organisierten Verantwortungslosigkeit aller gegen alle, an sich selbst zu Grunde gehen muss.
5. Zum Schluss noch eine Warnung: Die FDP als Spaß- und Neidpartei mit ihrem fröhlichen Positivismus des Eigentums, der ein Individuum nur für sich selbst verantwortlich sein lässt, hat sich längst ins programmatische Abseits manövriert; die Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten strafen diese Ein-Punkt-Partei für Kleinbürger und -aktionäre jeden Tag aufs Neue Lügen. Für Sozialdemokraten heißt das, den Liberalismus wieder als das Freiheitsversprechen auf eine menschenwürdige Zukunft zu begreifen, das es einstmals war - als eine in der Verantwortung für die anderen begründete Freiheit.
P.S. Mein Laptop funzt immer noch nicht wieder richtig, aber ich habe einen PC-Saal gefunden, der fast immer auf hat, sodass ich wohl doch weiterhin regelmäßig bloggen kann, auch wenn ich immer noch sehr viel für die Uni zu tun habe. Deshalb gibt es bis auf weiteres selten Privates zu berichten, einfach weil sich da aus Zeitmangel nicht viel tut...
Mit dem Verschwinden des real existierenden Sozialismus kann auch wieder links von der SPD gewählt werden; allenfalls die CDU ergeht sich hier und da in Abwehrreflexen, als tobe immer noch der Kalte Krieg. Die SPD dagegen wehrt sich zwar auch, doch niemand versteht, wogegen: Mit der neuen Links-Partei nur auf Landes-, niemals aber auf Bundesebene koalieren - es bleibt wohl selbst für Sozialdemokraten ein Geheimnis, wie das eigentlich gehen soll.
Was die Agenda 2010 angeht, haben wir es mit einem vielfachen Scheitern zu tun. Zunächst sollte mit diesem ehrgeizigen Programm nicht etwa nur der Arbeitsmarkt belebt werden. Vorgesehen waren auch Reformen in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Doch weil Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger über keine Lobby verfügen, ging man hier besonders drakonisch vor. Etwas emphatischer: Die SPD hat ihre proletarische Herkunft verraten, ohne sich in einem neuen Milieu verankern zu können.
Wer in der Politik nicht nach Glaubwürdigkeit sucht, wird hier immerhin ein (wahl)strategisches Problem zugestehen. Die beschäftigungspolitischen Erfolge der Agenda sollen darauf zurückzuführen sein, dass sie den Menschen Schlechtes unterstellt - die mitunter Faulen und Trägen sollen nicht nur gefördert, sondern müssen vor allem auch gefordert werden. Mit der hier zu Grunde liegenden, eher pessimistischen Anthropologie lässt sich aber kein überzeugendes, die Menschen mitreißendes Zukunftsprogramm entwerfen.
Unterdessen wächst in der Mitte unsere Gesellschaft das Millionenheer der Ausgeschlossenen, wie der Soziologe Heinz Bude all jene nennt, "die übrig bleiben, wenn die Arbeit verschwindet". Gemeint sind die neuen Unterschichten, von denen eine SPD-Studie kürzlich zu berichten wusste und damit für Aufsehen sorgte, für die sich in der Agenda-Partei aber niemand so richtig zuständig zu fühlen scheint. Nicht nur kommt der wirtschaftliche Aufschwung bei vielen Menschen nicht an, wie es beschönigend heißt - massenhafte Armut ist das große Zukunftsproblem.
Doch was tut die Agenda-zahme SPD? Sie schlägt die Einführung eines Mindestlohns vor. Dabei müssten auch die Genossen wissen: Ein solcher Eingriff in die Tarifautonomie wird allenfalls bis zum nächsten Richterentscheid oder bis zur nächsten Bundesregierung Bestand haben und von den meisten als entsprechend knapp befristeter Aufschub in einer Entwicklung verstanden, die unbeirrt weiter nach unten weist. All jene, die unlängst die beschäftigungspolitischen Erfolge der Agenda 2010 feierten, sollten die zum Teil verheerenden sozialen Auswirkungen dieser Reform nicht verschweigen, und ebenso wenig, dass sich ihr Erfolg wohl eher einem sozialen Abwärtstrend verdankt, innerhalb dessen sie nur die globalisierungsbedingten Zumutungen neu verteilte - von oben nach unten.
Fünf Punkte, die den Machterhalt der SPD sichern könnten
Die Agenda mit ihrem Credo vom Fördern und Fordern wollte die Verteilungs- wieder mit der Leistungsgerechtigkeit in Einklang bringen. Daran ist sie gescheitert. Warum aber denkt in der SPD heute niemand mehr darüber nach? Am Stillstand in der Berliner Regierungskoalition oder am Wiesbadener Debakel kann es doch nicht liegen. Die SPD hat als linke Milieupartei keine Chance, einfach weil es keine klaren politischen Milieus mehr gibt. Ihr Festhalten am politischen Phantasma der Mitte sichert den Machterhalt. Aber was dann? Im Prinzip ist es ganz einfach.
1. Die SPD wird ihr Verhältnis zur Links-Partei entkrampfen müssen. Eine Zumutung, gewiss, aber nicht nur ist der Kalte Krieg vorbei, sondern es sind auch nur auf diesem Wege links von der Mitte in nennenswertem Umfang Wähler zurück zu gewinnen. Angela Merkel und die Unions-Parteien machen zurzeit alles richtig. Und auf die Grünen sollten sich die Genossen nicht allein verlassen, denn je älter die einstmaligen Öko-Revoluzzer werden, desto mehr besinnen sie sich auf ihre bürgerliche Herkunft - Annäherung an die CDU inklusive.
2. Die Herkunft der SPD aber ist proletarisch, davon sollte um ihrer Glaubwürdigkeit willen nicht nur das Wort vom "demokratischen Sozialismus" künden, das sich ja immerhin noch im Hamburger Parteiprogramm findet. Die Ausgeschlossenen sind das vordringliche Thema. Dabei wird man sich eine Menge mehr einfallen lassen müssen, als die bloß administrative, den "Pöbel" auf Distanz haltende Organisation der Zugänge (Bildung) oder Differenzierung der Maßnahmen (Arbeit). Wer schon öffentlich die "Heuschrecken" beklagt, darf es nicht bei der Verwaltung des Elends belassen. Widerstand ist das Gebot der Stunde.
3. Eine weitverbreitete Ausrede dafür, es doch nur bei der Elendsverwaltung belassen zu können, lautet, dass sich eine Volkswirtschaft nur dann in den uns wie Schicksalsmächte überkommenden Stürmen der Globalisierung behaupten kann, wenn sie sich von unnötigem Ballast befreit. So lautet auch die geradezu metaphysische Grundannahme der Agenda 2010. Das mag für den Augenblick richtig sein, falsch aber ist es in der größeren Perspektive. Gegen das global agierende Kapital hilft nur internationale Solidarität. Wozu ist die SPD Mitglied in der Sozialistischen Internationale? Was machen die da eigentlich? Eine kluge und linke Ordnungspolitik im globalen Maßstab muss her, und zwar hurtig!
4. Die SPD braucht eine neue Ideologie. Selbstverständlich ist es cool, im Sprachspiel der globalen Casinospieler sein Agenda-Setting zu verfassen. Doch jetzt steht die große Umwertung an: Arbeit und Leistung harren einer neuen Bestimmung, die sich nicht länger an den Standards der Besserverdienenden und Renditejäger mit ihrem angeblichen Wertschöpfungsmonopol orientiert. Auch bedarf es einer nachdrücklichen Aufklärung darüber, dass eine ganze Volkswirtschaft im Banne des Geiz-ist-geil, also der organisierten Verantwortungslosigkeit aller gegen alle, an sich selbst zu Grunde gehen muss.
5. Zum Schluss noch eine Warnung: Die FDP als Spaß- und Neidpartei mit ihrem fröhlichen Positivismus des Eigentums, der ein Individuum nur für sich selbst verantwortlich sein lässt, hat sich längst ins programmatische Abseits manövriert; die Verwerfungen auf den internationalen Finanzmärkten strafen diese Ein-Punkt-Partei für Kleinbürger und -aktionäre jeden Tag aufs Neue Lügen. Für Sozialdemokraten heißt das, den Liberalismus wieder als das Freiheitsversprechen auf eine menschenwürdige Zukunft zu begreifen, das es einstmals war - als eine in der Verantwortung für die anderen begründete Freiheit.
P.S. Mein Laptop funzt immer noch nicht wieder richtig, aber ich habe einen PC-Saal gefunden, der fast immer auf hat, sodass ich wohl doch weiterhin regelmäßig bloggen kann, auch wenn ich immer noch sehr viel für die Uni zu tun habe. Deshalb gibt es bis auf weiteres selten Privates zu berichten, einfach weil sich da aus Zeitmangel nicht viel tut...
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