Folgenden antinationalistischen Text zur EM 2008 habe ich auf mehreren Blogs, u.a. bei schildkroete und torsun, gefunden.
Mittlerweile gibt es aber auch ein eigenes Blog zum Thema.
Deutsch mich nicht voll !
Taucht Deutschland zur Männer-Fußball-Europameisterschaft wieder unbekümmert in Schwarz-Rot-Gold ein, wird jede Kritik an der Voranstellung der Nation als Identifikationsfigur gnadenlos abgeschmettert und die Abgrenzung zum “übersteigerten Nationalismus” leichtfertig mit einem “positiven Verhältnis zur Nation” und einem “gesunden Patriotismus” begründet. Ein unverkrampftes Verhältnis zu Deutschland heißt dann: Eine Deutschlandflagge gratis beim Kauf von zwei Tüten Chips. Der Normalisierungsprozess in Bezug auf das Verhältnis des Einzelnen zur Nation sei in vollem Umfang abgeschlossen, da man sich doch nun genug mit der Geschichte auseinandergesetzt habe und der Aufarbeitungsweltmeister Deutschland sich die gesellschaftliche Befugnis zu patriotischen Regungen hart erarbeitet habe. Fast schon höhnisch klingt die Sehnsucht von Rheinhard Mohr nach einem “Stimmungskick durch die EM” um nun auch endlich das Dauerelend der sozialen Ungerechtigkeit zu überwinden. Nationalstolz als Super-Pille - Nebenwirkungen ausgeschlossen?
Vergessen sind Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen - wiedervereinte deutsche Bürger guckten zu bei fremdem Elend und nachher hat niemand was gesehen. Fast blind vor Deutschtümelei werden der Einzug der NPD in die ostdeutschen Landtage und der Anstieg von rechtsextremen Gewalttaten als Randphänomen abgeschoben und die eigentlichen Ursachen verschleiert. Als adäquate Antwort folgt ein Fischen nach Wählerstimmen am rechten Rand - nach der Bewältigung der Vergangenheit folgt das Ignorieren der Gegenwart.
Übergangen wird die Tatsache, dass “Nation” einem Abgrenzungsprozess entspringt, dessen Ursprünge in Begriffen wie Abstammung und Kultur wurzeln. Das Hochhalten der Deutschlandflagge symbolisiert nicht die Identifikation mit einer demokratischen, verfassungsrechtlich geschützten Grundordnung, sondern die identifikatorische Bindung einer Masse und somit die Bildung einer nationalen Identität, der man nicht entkommen kann, ohne sich auszugrenzen. Es entsteht ein Zwangszusammenhang, der sich gegen das Individuum richtet und ein Kollektivsubjekt erzeugt, dem man sich unterzuordnen hat. Normalisierung des Verhältnisses zur deutschen Nation bedeutet die Einforderung der Identifikation des Einzelnen mit der Masse. Die Konsequenz ist keine pluralistische Demokratie, sondern der kleinlaute Untergang des Individuums in einem “Volkskörper” in dem stummes Kopfnicken für die Mehrheit zu einer notwendigen Überlebenspraxis heranreift. Die Kritik an deutschen Zuständen und damit an einer schwarz-rot-notgeilen Sport-Popkultur steht also nicht zwingend im Zusammenhang mit der Ablehnung der Verfassung der BRD - jedoch wird die Plakette, unter anderem durch den § 90a StGB, schnell verteilt, um weiterhin im Strom der Unberührbarkeit hinwegzutreiben.
“Deutsch mich nicht voll!” heißt in diesem Sinne: Kein entspanntes Verhältnis zur deutschen Nation - weder im Alltag noch zu irgendeiner Fußballmeisterschaft. Wenn also mit dem Restart eines “Sommermärchens” die Mehrheit in Gefühlsduselei verfällt, wird ein Protest umso notwendiger. Wir laden deshalb jedeN dazu ein, das Internet, in all seinen Formen, als Plattform zu nutzen, um mit künstlerischen Darbietungen ihre / seine Ablehnung zum Ausdruck zu bringen. Ziel ist es dabei, eine interaktive Ausstellung heranwachsen zu lassen, die auf unterschiedlichste Art veranschaulicht, warum jedweder Auswuchs von deutschem Nationalismus keine Strategie sein kann. Fußballfan-Lieder wie “Eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir von Mönchengladbach bis nach Auschwitz” sind nur Früchte einer unterschätzten Gefahr. Konsequent gegen Antisemitismus, Rassismus, Geschichtsrevisionismus und Sexismus - Nazis den Nährboden entziehen!
Den Spruch kenn ich von einer Postkarte der JungdemokratInnen/Junge Linke (Berlin), die links zu sehen ist. Der Text vor diesem vorbildlich ordentlich bayerisch-deutsch gekleideten Bub lautet "Deutsch mich nicht voll! - Radikal gegen Leitkultur". Ob Leute aus diesem Umfeld die "Deutsch mich nicht voll"-Kampagne zur EM unterstützen oder initiiert, kann ich nicht sagen. Jedenfalls tut es gut zu wissen, dass sich einige Menschen gegen die Vereinnahmung im Namen der deutschen Nation wehren und angesichts einer scheinbaren "Einheitsfront des Jubelpatriotismus" den Blick auf den dahinterliegenden Nationalismus mit allen seinen Problemen lenken.
1 Kommentar:
Auch und gerade zu diesem Text fällt mir nur eines ein: Typisch Deutsch...
Gruß Mario
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