Die folgende Rezension von Thomas Wagner, die ich als Arbeiterkind, das trotz unseres höchst selektiven und damit ungerechten Schulsystems studiert, gerne empfehle, ist Teil 8 der jW-Serie Literatur und Engagement.
Bruno Preisendörfer gegen Klassenprivilegien im Schulsystem
Kinder aus Kleine-Leute-Familien werden in deutschen Schulen systematisch benachteiligt und diskriminiert. »Die Institution Schule mildert Diskriminierung nicht, sondern verschärft sie oder bringt sie sogar überhaupt erst hervor, auch wenn diejenigen, die in dieser Institution arbeiten, die besten Absichten und schönsten Illusionen haben.« Daß sich an dieser Situation auch nach dem sagenumwobenen PISA-Schock nichts Grundstürzendes ändern wird, führt Bruno Preisendörfer auf uneingestandene Klassenvorurteile der bürgerlichen Mittel- und Oberschichten zurück. Sie verteidigen den privilegierten Zugang ihres Nachwuchses zum Bildungssystem gegen alle egalitären Öffnungsabsichten und schicken ihre Kinder notfalls auf Privatschulen, um sie von Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten fernzuhalten. Die bürgerlichen Schichten bestimmen so Theorie und Praxis des Bildungswesens. Diesen Ausgrenzungsdikurs nennt der 1957 bei Aschaffenburg geborene Schriftsteller »Klassismus«: »Gegen rassistische und klassistische Diskriminierung kursieren in der akademischen Linken seit einiger Zeit Theorien der Anerkennung und des Respekts. Sind diese Theorien hilfreich? Ja, für die Helfer« (Le Monde diplomatique, 12/2007).
Die Theorie des Respekts ermögliche ihnen ein gutes Gewissen, ohne daß sie praktisch an den Machtstrukturen rütteln müßten, die dem in seinen Augen grundgesetzwidrigen Bildungssystem zugrunde liegt: Unterschichtskinder würden »wegen ihrer Abstammung, Sprache und Herkunft benachteiligt, die Kinder der Mittel- und Oberschicht wegen ihrer Abstammung, Sprache und Herkunft bevorzugt«.
Preisendörfer weiß, wovon er schreibt. Als Dialekt sprechendes Arbeiterkind vom platten Land erwarb er nur mit viel Glück und auf Umwegen die Hochschulreife und schloß in Berlin sein Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften ab. Bis Ende der 1990er Jahre arbeitete er als Redakteur des ehemals links-alternativen Stadtmagazins Zitty und der Zeitschrift Freibeuter. Er veröffentlichte unter dem Pseudonym Bruno Richard und unter seinem eigenen Namen Erzählungen, Krimis und Liebesromane wie »Die Vergeltung« (2007), »Die letzte Zigarette« (2006) und »Desaster« (2002). Seine politologische Studie »Staatsbildung als Königskunst« (2000) geht dem Verhältnis von Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus nach.
Nun hat Preisendörfer eine Streitschrift zur Bildungspolitik vorgelegt, die sich an die breite Öffentlichkeit richtet. Unter dem Titel »Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist« fragt er nach den gesellschaftlichen Interessen, die einem gerechten Bildungssystem im Wege stehen. »Die Schule ist immer zugleich pädagogische Anstalt und aökonomische Selektionsagentur. Einerseits soll sie jedem eine Chance geben, andererseits bedarfsgerecht ausbilden. Das Schönste, was ihr passieren könnte, das Hereinbrechen ganzer Begabungskohorten aus allen Schichten, wäre zugleich ihr größtes Drama. Dem wäre die Schule nicht gewachsen, weil der Markt dem nicht gewachsen ist.« Die fortdauernde Reproduktion von Ungleichheit sei kein Versehen, sondern eine wesentliche Aufgabe des Bildungssystems. »Geringe Herkunft, geringe Bildung: kein Aufstieg. Das Versprechen der ›Chancengleichheit‹ war seit jeher eine Gerechtigkeitslüge.«
Preisendörfer zitiert die wichtigsten Beiträge zur linken Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre und erinnert daran, auf welch hohem Niveau die Bildungsdebatten in der BRD einst geführt worden sind. Er argumentiert mit Verve gegen den grassierenden Bildungskonservatismus und stellt ein nützliches Ideenreservoir für die heutigen Bildungskämpfe bereit. Überzeugend zeigt er, daß keine pädagogische Erneuerung hinreicht, um soziale Benachteiligung wirksam zu bekämpfen.
Leider kommen aber auch seine eigenen Vorschläge zur Beseitigung der Misere nicht über das Postulat einer Bildungsbewegung hinaus. Deren gesellschaftlicher Rahmen wird nicht weiter untersucht, die Systemfrage nicht gestellt. Bildungspolitik erscheint als ein Verteilungskampf zwischen Gruppen um rare Ressourcen. Preisendörfer ist daher versucht, die sozialen Interessen verschiedener benachteiligter Gruppen gegeneinander auszuspielen. Auf der einen Seite will er vorschulische Bildungsmaßnahmen für Kinder aus Arbeiter- und Migrantenfamilien finanziert sehen, auf der anderen Seite auch Studierende aus den Unterschichten als »Vorteilsnehmer« durch die Einführung von Studiengebühren belasten. Mit all dem bleibt er hinter jenen bildungspolitischen Einsichten der 1970er und 1980er Jahren zurück, die in der »Aufhebung der bestehenden Klassengesellschaft« eine »schlichte Konsequenz aus erfahrungswissenschaftlichen Forschungsresultaten« sahen. In Kurt J. Huchs bildungspolitischem Bestseller »Einübung in die Klassengesellschaft« stand geschrieben: Erst wenn »alle Lohnabhängigen ihre gemeinsame Klassenlage erkennen und solidarisch die demokratische Organisation von Produkten und Verwaltung erzwingen« könnten die schichtspezifischen »Sozialisationsprozesse gesprengt werden«.
Die Theorie des Respekts ermögliche ihnen ein gutes Gewissen, ohne daß sie praktisch an den Machtstrukturen rütteln müßten, die dem in seinen Augen grundgesetzwidrigen Bildungssystem zugrunde liegt: Unterschichtskinder würden »wegen ihrer Abstammung, Sprache und Herkunft benachteiligt, die Kinder der Mittel- und Oberschicht wegen ihrer Abstammung, Sprache und Herkunft bevorzugt«.
Preisendörfer weiß, wovon er schreibt. Als Dialekt sprechendes Arbeiterkind vom platten Land erwarb er nur mit viel Glück und auf Umwegen die Hochschulreife und schloß in Berlin sein Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften ab. Bis Ende der 1990er Jahre arbeitete er als Redakteur des ehemals links-alternativen Stadtmagazins Zitty und der Zeitschrift Freibeuter. Er veröffentlichte unter dem Pseudonym Bruno Richard und unter seinem eigenen Namen Erzählungen, Krimis und Liebesromane wie »Die Vergeltung« (2007), »Die letzte Zigarette« (2006) und »Desaster« (2002). Seine politologische Studie »Staatsbildung als Königskunst« (2000) geht dem Verhältnis von Ästhetik und Herrschaft im preußischen Absolutismus nach.
Nun hat Preisendörfer eine Streitschrift zur Bildungspolitik vorgelegt, die sich an die breite Öffentlichkeit richtet. Unter dem Titel »Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist« fragt er nach den gesellschaftlichen Interessen, die einem gerechten Bildungssystem im Wege stehen. »Die Schule ist immer zugleich pädagogische Anstalt und aökonomische Selektionsagentur. Einerseits soll sie jedem eine Chance geben, andererseits bedarfsgerecht ausbilden. Das Schönste, was ihr passieren könnte, das Hereinbrechen ganzer Begabungskohorten aus allen Schichten, wäre zugleich ihr größtes Drama. Dem wäre die Schule nicht gewachsen, weil der Markt dem nicht gewachsen ist.« Die fortdauernde Reproduktion von Ungleichheit sei kein Versehen, sondern eine wesentliche Aufgabe des Bildungssystems. »Geringe Herkunft, geringe Bildung: kein Aufstieg. Das Versprechen der ›Chancengleichheit‹ war seit jeher eine Gerechtigkeitslüge.«
Preisendörfer zitiert die wichtigsten Beiträge zur linken Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre und erinnert daran, auf welch hohem Niveau die Bildungsdebatten in der BRD einst geführt worden sind. Er argumentiert mit Verve gegen den grassierenden Bildungskonservatismus und stellt ein nützliches Ideenreservoir für die heutigen Bildungskämpfe bereit. Überzeugend zeigt er, daß keine pädagogische Erneuerung hinreicht, um soziale Benachteiligung wirksam zu bekämpfen.
Leider kommen aber auch seine eigenen Vorschläge zur Beseitigung der Misere nicht über das Postulat einer Bildungsbewegung hinaus. Deren gesellschaftlicher Rahmen wird nicht weiter untersucht, die Systemfrage nicht gestellt. Bildungspolitik erscheint als ein Verteilungskampf zwischen Gruppen um rare Ressourcen. Preisendörfer ist daher versucht, die sozialen Interessen verschiedener benachteiligter Gruppen gegeneinander auszuspielen. Auf der einen Seite will er vorschulische Bildungsmaßnahmen für Kinder aus Arbeiter- und Migrantenfamilien finanziert sehen, auf der anderen Seite auch Studierende aus den Unterschichten als »Vorteilsnehmer« durch die Einführung von Studiengebühren belasten. Mit all dem bleibt er hinter jenen bildungspolitischen Einsichten der 1970er und 1980er Jahren zurück, die in der »Aufhebung der bestehenden Klassengesellschaft« eine »schlichte Konsequenz aus erfahrungswissenschaftlichen Forschungsresultaten« sahen. In Kurt J. Huchs bildungspolitischem Bestseller »Einübung in die Klassengesellschaft« stand geschrieben: Erst wenn »alle Lohnabhängigen ihre gemeinsame Klassenlage erkennen und solidarisch die demokratische Organisation von Produkten und Verwaltung erzwingen« könnten die schichtspezifischen »Sozialisationsprozesse gesprengt werden«.
Bruno Preisendörfer: Das Bildungsprivileg. Warum Chancengleichheit unerwünscht ist. Frankfurt a.M., Eichborn, Frankfurt/Main 2008, 192 S., 16,95 Euro
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