In meinen Beitrag
Goetz Aly, der Kalte Krieger vom 1.2.2008 bin ich bereits kurz auf Götz Alys neues Buch eingegangen. Diese Woche ist nun eine lesenswerte Auseinandersetzung mit Alys Thesen von Guido Speckmann mit Schwerpunkt auf der vom Autor bemühten
Totalitarismustheorie in der
jungen Welt erschienen, die ich hier leicht gekürzt dokumentiere.
In der Tradition der Totalitarismustheorie:
Götz Aly setzt die Nazi- mit der 68er-Bewegung gleich
Bereits vor 13 Jahren schrieb Oskar Negt »im Zorn und gegen das Vergessen« über die sich selbst als »1968er« bezeichnenden Intellektuellen. Sein Zorn richtete sich gegen sie, weil sie nunmehr meinten, alles abwerten zu können, wofür sie sich einst haben schlagen lassen. Für Negt ließ das nur einen Schluß zu: »Der Opportunismus ist die eigentliche Geisteskrankheit der Intellektuellen.« Und weiter: »Wo diese ihren Eigensinn, die bohrende und widerständige Kraft ihrer Entwurfsphantasien einbüßen, werden sie zu abrufbaren Legtimationsproduzenten mit beschleunigten Häutungen, und am Ende bleibt nur die Haut übrig, die man selbst zu Markte tragen muß.«
Welche Worte hätte er wohl gefunden, um die neueste publizistische Intervention desjenigen zu beschreiben, der das Haut-zum-Markte-Tragen seit einigen Jahren beherrscht wie kein zweiter? Nämlich Götz Aly, der einstige 68er- und Rote Hilfe-Aktivist, das Berufsverbotsopfer und der heute bekannte Historiker. Vor wenigen Wochen ist sein Buch »Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück« erschienen, in dem er eine Parallelisierung von 68er- und Nazi-Bewegung konstruiert. Vorab durfte Aly seine Thesen in der einstigen linksliberalen Frankfurter Rundschau (FR) vom 30. Januar vorstellen. Darüber hinaus brachte das Onlinemagazin Perlentaucher einen vierteiligen Vorabdruck aus Alys Machwerk. – Das Jubiläumsjahr 2008 ist noch jung, doch bereits jetzt steht es im Zeichen von Alys Interpretation von 1968.
Alys zentrale These ist indes keineswegs neu. Er hatte bereits – allerdings in einer Buchbesprechung zu Wolfgang Kraushaars Buch »Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus« – in der konservativen Welt vom 16. Juli 2005 geschrieben: »Die deutschen Achtundsechziger waren ihren Eltern auf elende Weise ähnlich – vor allem im Antisemitismus.« Ebenfalls ist in der Rezension bereits mit deutlichen Worten formuliert, welchen Seitenwechsel Aly vollzogen hat. Er verortet sich ex post auf seiten des von ihm damals noch bekämpften repressiven Staates und legitimiert die konservativen Zeitungskampagnen, die nicht davor zurückschreckten, ähnliche Analogien herzustellen (Dutschke in Hitlerpose etc.) wie heute Aly: »Wenn es langfristig überhaupt positive Auswirkungen des Achtundsechziger-Protests gegeben haben sollte, dann nur deshalb, weil es den Gegenkräften gelang, diese zutiefst intolerante und antidemokratische Bewegung mit Hilfe der Staatsgewalt und einer entschlossenen Publizistik zu stoppen« (Die Welt v. 16.7.2005).
»Unser Kampf« führt diese Argumentation fort, die im übrigen bereits vor zehn Jahren der CSU-Rechtsaußen Peter Gauweiler vertrat und bereits 1965 der Historiker und Journalist Joachim Fest im Gespräch mit Ulrike Meinhof in ähnlicher Form formulierte. Anhand der Analysen der damaligen Gegner, das Bundeskanzleramt, das Innenministerium und konservative Intellektuelle, wird die 68er-Bewegung – so eine Kernaussage – »als sehr deutscher Spätausläufer des Totalitarismus« interpretiert.
Alys Text in der FR – ganz im Sinne seiner totalitarismustheoretischen Gleichsetzung von Nazi- und 68er-Bewegung symbolisch am Tag der Machtübertragung an Hitler unter der Überschrift »Die Väter der 68er« publiziert – faßt die angeblichen Parallelen zusammen, die zwischen den »politischen Sturm- und Drangjahren« der »tatendurstigen Gefolgsleute der NSDAP« und ihren Töchtern und Söhnen der 68er-Bewegung bestünden.
Aly eröffnet sich folgende Analogie: Beide sahen sich selbst als »Bewegung« an, die das »System« der Republik als für historisch überholt erachteten und infolgedessen die Macht im Staat ergreifen wollten. Das ist nicht ganz falsch, allerdings ist mit einer negativen Abgrenzung von etwas noch gar nichts über das positiv angestrebte Ziel ausgesagt. Es macht schon einen Unterschied, die Republik durch ein rassistisch-antisemitisches, auf Eroberungskrieg und Holocaust drängendes Regime oder etwa durch eine Rätedemokratie ersetzen zu wollen. Und worin besteht der Aussagewert, daß es beiden Bewegungen um die Macht gegangen sei? Worin geht es in der Politik sonst? Mit diesem Argument könnte man auch die SPD oder die CDU mit der Nazibewegung vergleichen.
Des weiteren macht Aly eine generationenspezifische antibürgerliche Haltung aus, die sowohl die Mehrheit der 33er- als auch den 68er-Studierenden zu eigen gewesen sei. So hätten beide Studentenbewegungen – Aly stützt sich häufig auf NS-Studierende, nicht immer auf die Nazibewegung im allgemeinen – »gegen den Muff von tausend Jahren« protestiert und dabei die Konfrontation mit der Staatsgewalt gesucht. Erneut ist damit noch gar nichts über die gesellschaftlichen Ziele oder über die Motivation ausgesagt, aus der heraus die politischen Kämpfe aufgenommen wurden. Die Demokratisierung der Hochschulen oder die Errichtung rassekundlicher Lehrstühle einzufordern, macht einen nicht ganz unerheblichen Unterschied.
Götz Aly schreibt selbst von »Ähnlichkeiten in den politischen Ausdrucksformen«, nicht also von Ähnlichkeiten den politischen Inhalt betreffend. Doch eine inhaltliche Bestimmung der bislang referierten formalen Parallelen führt Aly schließlich ins Feld. Und zwar mit Rekurs auf das ehemalige NSDAP-Mitglied und Mitarbeiter im Goebbelschen Propagandaministerium, den späteren Bundeskanzler der Großen Koalition von 1966 bis 1969 Kurt Georg Kiesinger: »An die Stelle des extrem schuldbehafteten Nationalismus der Eltern setzten sie den Internationalismus.« Ebenso gut könnte man aber, wie im Freitag (8.2.2008) zu lesen war, eine Parallele zwischen einem Mordkommando und einem Krankenwagen ziehen. Beide haben es nämlich mit dem Verhältnis von Leben und Tod zu tun, wenn auch in umgekehrter Richtung. Wenn man Alys Argument konsequent zu Ende denkt, läuft es darauf hinaus, die angeblich »rassische« und wirtschaftliche Überlegenheit einer Nation inklusive der in ihr potentiell angelegten kriegerischen Aggressionsbereitschaft mit dem gerade als Konsequenz aus eben jenem Nationalismus entstandenen Internationalismus gleichzusetzen, der die Überwindung von Chauvinismus und internationalen Ausbeutungsstrukturen anstrebte.
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Konsequenterweise läßt sich Aly nicht über die gänzlich verschiedenen historisch-konkreten Kontexte aus. So darüber, daß die Nazibewegung allein durch ein Bündnis mit den traditionellen Eliten aus Konservatismus, Beamtentum, Reichswehr und Kapital in die Lage versetzt wurde, die Macht im Staat zu übernehmen und zu behaupten, während die 68er-Bewegung von den traditionellen Eliten bekämpft wurde. Bis in die Wortwahl ist bei Aly die Machtübertragung an Hitler aus seinem historischen Zusammenhang gelöst. So etwa, wenn er schreibt, die »Möglichkeit zur Machtübernahme war der NSDAP im Frühjahr 1933 (…) zugefallen«. Alys Argumentation folgend, ist es dann wohl reiner Zufall, daß der 68er-Bewegung die Macht nicht zugefallen ist.
Insgesamt gesehen handelt es sich bei Alys Thesen um eine typische totalitarismustheoretische Argumentationsweise. Deren grundlegender Mangel ist es, lediglich auf der formalen Ebene zu argumentieren. Es wird von jedem Inhalt abstrahiert, und so werden scheinbare Ähnlichkeiten der Herrschaftsausübung oder einer Bewegung entdeckt. Aussagen über die Ziele oder den historischen Gesamtzusammenhang werden indessen nicht getroffen. Wenige Gesichtspunkte, wie Form und Mittel, werden um so stärker hervorgehoben, um andere Facetten wie Inhalt, Zweck und Intention völlig zu vernachlässigen. Das Niveau wissenschaftlicher Analyse und Erklärung wird somit nicht erreicht, da die Aufgabe von Wissenschaft die Erklärung von Kausalbeziehungen und historischen Prozessen sein sollte. Ein Blick in die Geschichte der Totalitarismustheorie zeigt zudem, daß ihre Verbreitung in erster Linie auf ihre politische Instrumentalisierung als antikommunistische Waffe im Zeitalter der Systemauseinandersetzung und weniger auf wissenschaftlichen Fortschritten beruht. Standen sich Kapitalismus und Sozialismus feindlich gegenüber, so hatte die Totalitarismustheorie Hochkonjunktur. Als aber die Sowjetunion gemeinsam mit den USA gegen Nazideutschland Krieg führte, verschwand sie nahezu vollständig. Ähnlich war es in der Entspannungsphase des Kalten Krieges.
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Zurück zu Aly und den anderen Renegaten: Ihre spezifische Funktion besteht darin, daß sie unter den neuen Rahmenbedingungen einen weitaus bedeutenderen Beitrag für die Durchsetzung des »stillen Siegs eines Begriffes« leisten als die herkömmlichen konservativen Intellektuellen. Denn nichts ist für eine Theorie überzeugender, als wenn sich ehemalige (linke) Kritiker zu ihr bekennen. Aly und Co. fungieren somit als Kronzeugen gegen die Linke. Es bleibt die Frage, die ein rechter Publizist mit Bezug auf die Häutungen des Grünen-Politikers Joseph Fischer in folgende Worte faßte: »Weshalb (wird) plötzlich als neue Einsicht verkündet, was wir ›Rechten‹ schon immer wußten. (...) Was sollen wir eigentlich von der Urteilsfähigkeit eines Politikers halten, dessen bisherige Analysen alle falsch waren und der dem verdutzten Publikum nunmehr die Positionen des politischen Gegners als neueste Einsichten anpreist?«
Für die Linke stellen sich infolgedessen mehrere Herausforderungen: Zum einen gilt es, die zeitgeschichtlichen Symptome einer geistig-moralischen Wende, die bereits seit Anfang der 1980er Jahre immer stärker auf eine politische Neuorientierung nach rechts drängt, ideologiekritisch zu hinterfragen. Des weiteren ist die Struktur, in der sich solche Entwicklungen vom übereifrigen Revolutionär zum Renegaten immer wieder vollziehen, zu analysieren. Überdies stellt sich die Aufgabe – in Abgrenzung zur traditionellen Vorgehensweise der Diskreditierung des Renegaten als Verräter – sich mit seiner Autokritik ernsthaft auseinander zusetzen. Und vor allem schließlich muß durch eine Beschäftigung mit der Geschichte herausgearbeitet werden, welches grenzüberschreitende Denken, welche vorerst gescheiterte Utopie die Akteure von damals antrieb. Mit Walter Benjamin geht es darum, die Vorstellung eines wie auch immer verschütteten, entstellten und revolutionären Moments wachzuhalten, an dem gerade im Bewußtsein des Scheiterns aller Utopien und einer ständigen Antastbarkeit der Würde des Menschen festzuhalten ist. Anderenfalls droht das, was bereits Theodor W. Adorno als drückende Hypothek empfand, und was Oskar Negt in seiner Auseinandersetzung mit den 68er-Renegaten als äußerst bedrohlich empfand: eine Menschheit ohne gesellschaftliche Erinnerungsfähigkeit, die eben ohne Aufbewahrung ihrer – wenn auch historisch gescheiterten – Befreiungsversuche nur schwerlich einen neuen Weg wird beschreiten können.